Ein Text von Dralle Deern:
Menschen sind aus unterschiedlichen Gründen dick. Während bei einigen die Ursache tatsächlich in falscher Ernährung und Bewegungsmangels liegen mag, häufen sich die gesundheitlichen Gründe für Übergewicht zusehends. Zum einen sind da Schilddrüsen- und andere Erkrankungen hormonellen Ursprungs zu nennen, aber auch Essstörungen, die oberflächlich betrachtet in die Kategorie "falsche Ernährung" gehören sowie Diäten mit daraus resultierenden Stoffwechselstörungen (sog. "Jojo-Effekt") sind als Krankheiten der Betreffenden anzusehen und zu behandeln.
Welche Gründe Übergewicht auch haben mag, pfiffige Geschäftemacher haben schon lange erkannt, dass sich mit Übergewicht Geld machen lässt, viel Geld. Nicht nur in Fernsehsendungen wird immer wieder suggeriert, nur wer schlank ist, ist auch schön und wer schön ist, der ist erfolgreich. Die umgekehrte Botschaft funktioniert ebenso tadellos: wer nicht in das gängige Schönheitsbild passt, hat keinen Erfolg. In unserer ebenso oberflächlichen wie erfolgsorientierten Welt möchte niemand als erfolglos gelten. Während Arbeitslosigkeit gerade eben noch akzeptiert wird, werden dicke Menschen als träge und unfähig abgestempelt.
Wer nicht ab- oder gar noch zunimmt, muss sich als hemmungslos und nicht durchhaltefähig titulieren lassen. Diät-Clubs, Abnehm-Produkte, Wunderpillen, Diätshakes und Crash-Diäten überfluten die Medienlandschaft. Man kann nicht einmal mehr eine Apotheke betreten, ohne dass man sich seinen Weg durch aufgetürmte Diätmittel bahnen muss. Oftmals aus Verzweiflung an der eigenen Machtlosigkeit seinem Gewicht gegenüber und nicht zuletzt wegen des Drucks, der permanent auf dicke Menschen ausgeübt wird, klammern sich viele an diesen vermeintlich letzten Strohhalm. Slogans wie "3 Pfund in 3 Tagen" nicht ohne die klassischen, oft retuschierten "Vorher-nachher-Bilder" verfehlen ihre Wirkung nicht und der übergewichtige Mensch, der seine eigene Lebenssituation als beeinträchtigt oder gar aussichtslos angesehen hat, sieht seine letzte Chance auf ein glückliches, erfolgreiches - weil schlankes - Leben. So greift er oft viel zu tief in seine Geldbörse, um sich und der Welt zu beweisen, dass er kein hemmungsloser Diät-Versager ist.
Nicht wenige haben zwischenzeitlich gemerkt, dass der Kauf dieser Produkte eine komplette Fehlinvestition war, die zudem zu noch mehr Resignation und Verlust des Selbstvertrauens führt. Die versprochene Wirkung des Mittels zeigt sich nur zögerlich, wenn überhaupt, und die "Geld-zurück-Garantie" der Vertreiber kann nicht eingehalten werden, da diese oftmals so schnell von der Bildfläche verschwinden, wie ihre Lager sich leeren.
Auch renommierte Pharmafirmen verdienen gutes Geld mit verschreibungspflichtigen Präparaten, die nicht selten unangenehme Nebenwirkungen haben, während die Hauptwirkung jedoch auch hier oft ausbleibt, der Patient aber wiederum aus Scham vor dem "Versagen" die Schuld bei sich und nicht bei einem wirkungslosen Mittel sucht.
Die einzige Wirkung, die solche Wundermittel haben, ist der Jojo-Effekt. Und hier stellt sich die Frage, ob gerade dieser Effekt von den Herstellern nicht sogar gewollt ist. Denn solange der übergewichtige Mensch in seinem eigenen Fehlverhalten die Schuld für das Versagen oder die umgekehrte Wirkung eines von ihm eingenommenen Präparates oder einer durchgeführten Diät sucht, werden diese Produkte auch weiter auf dem Markt bleiben. Einziger Gewinner in diesem Kreislauf sind die Pharmaindustrie und die Vertreiber der Wunderpillen dieser Produkte.
Fazit: Es scheint überhaupt nicht erwünscht, dass alle Menschen schlank sind. Erwünscht ist offenbar lediglich, dass dicke Menschen sich für ihr Aussehen schämen und sich selbst nicht akzeptieren, indem sie es einfach als gegeben ansehen, dass einige Menschen groß, andere klein, andere schlank und wieder andere dick sind. Denn solange ein dicker Mensch nicht mit derselben Normalität behandelt wird wie jeder andere auch, solange bleiben Hersteller der Wunderdiäten im wahrsten Sinne des Wortes dick im Geschäft.
Dralle Deern
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